Trollfabriken und die Macht von schwarzer PR und Fake News
Krieg ist scheinbar überall, auf politischer Ebene, aber auch in der Wirtschaft. Dass dabei Informationen und gezielte Desinformationen schon immer eine wichtige Rolle gespielt haben, hat die Geschichte gezeigt. Heute ist das nicht anders, hat aber eine neue Qualität erreicht, die immer mehr auf die digitale Verbreitung setzt.

Welche Auswirkungen das annehmen kann, zeigt einer der jüngsten Fälle aus Sankt-Petersburg, bei der sich ein 400 Mann starkes Team aufgemacht hat Nachrichten zu inszenieren und zu verbreiten, um so andere Regierungen in Misskredit zu bringen und gezielt Stimmungsmache zu betreiben.

Ihr Handwerkszeug: schnelle Internetverbindungen, gefälschte Facebookprofile, gekaufte Blogger, gefakte Nachrichtensender, produzierte Videos und vieles mehr. Die Auftraggeber, die Millionenbudgets dafür ausgeben, scheuen naturgemäß die Öffentlichkeit.

The Agency

Dieser Beitrag erscheint in Anlehnung auf eine große journalistische Untersuchung von Adrian Chen, veröffentlicht Ende 2015 bei "The New York Times".

Sawuschkina Straße 55

Sawuschkina Straße 55, Sankt-Petersburg. Das Büro von Kreml-Trollen

 

In einem unscheinbaren Bürogebäude in Sankt-Petersburg sitzt die neue 400 Mann starke Internet-Armee Russlands – schlagkräftiger und zersetzender, als jede andere Waffe. Überdurchschnittlich bezahlt sind sie nur dazu da, anderen mit gezielten Falschmeldungen zu schaden. Da werden Blogger dazu aufgefordert den US Präsidenten zu beleidigen, es werden Nachrichten gefälscht, Menschen beschuldigt und Rufschädigung betrieben.

Verbreiten das nur genügend Blogger weiter, glauben am Ende sogar die Auftraggeber an die eigenen Lügen. Frei nach dem Motto: "Das wird schon etwas dran gewesen sein!" kann eine einmal erfolgte Rufmordkampagne dauerhaft im Internet weiter kursieren.

Hier nur von Internet-Trollen zu reden, wäre verharmlosend. Mediale Kriegsführung wäre da treffender. Stellt man die Frage danach, wer ein Interesse oder einen Vorteil von etwaigen Falschmeldungen oder Rufmord haben könnte, wird die Auswahl an potenziellen Auftraggebern klarer. Sieht so der kalte Krieg online aus?

Adrian Chen Adrian Chen, Journalist bei der New York Times, recherchierte bekannte Fälle und der Ursprung der gefälschten Nachrichten hatte fast immer die gleiche Adresse: ein unscheinbares Bürogebäude in Sankt-Petersburg.

Fake News

Fake News. Quelle: flickr / The Public Domain Review / CC BY 2.0

 

Der St. Mary Fall, Louisiana

Eines Morgens erhielt Duval Arthur, der Leiter der Heimatschutz- und Katastrophenbehörde den Anruf eines Anwohners, der gerade eine beunruhigende SMS erhalten hatte. Dort stand:

"Bis 13.30 Uhr sollten wegen eines Chemieunfalls alle Fenster und Türen geschlossen gehalten werden. In der Umgebung seien immer noch giftige Dämpfe. Für weitere Informationen solle man Websites lokaler Zeitungen aufsuchen und auf die Website columbiachemical.com gehen".

Im Ortsteil St. Mary gibt es mehrere chemische Anlagen und Gasaufbereitungsanlagen, die somit auch ein Gefahrenpotenzial darstellen. Aber an diesem Morgen kamen keine Unfallmeldungen. Außerdem hat Arthur noch nie über den Fabrik Columbia Chemical gehört. In St. Mary gab es einen Fabrik Columbian Chemicals, der petrochemische Produkte herstellte, die in der Gummi und Kunststoffindustrie verwendet werden.

Jedoch kamen von dort auch keine Unfallmeldungen. Bald darauf kam eine zweite Meldung einer anderen Anwohnerin. Arthur begann sich Sorgen zu machen: hat vielleicht einer seiner Untergeordnete eine Warnung über den Unfall gegeben und ihn darüber nicht Informiert hat?

Columbian Chemical

Columbian Chemical. Quelle: By Nhl4hamilton | Chit-Chat [Public domain], via Wikimedia Commons

 

Wäre Arthur in diesem Moment auf Twitter gegangen, hätte er sich noch mehr Sorgen gemacht. Dort berichteten hunderte von Menschen über einen katastrophalen Unfall, der in deren Nähe aufgetreten ist. Dort waren Dinge zu lesen wie:

"Eine starke Explosion, die man über Meilen hören konnte ist aus der Chemiefabrik zu hören #ColumbianChemicals"

- eine Nachricht, die ein John Merritt verfasst hatte. Ein anderer User namens AnnRussela hatte ein Foto gepostet, auf der eine Anlage in Flammen stand. Ein anderer User wiederum hatte ein Video von einer Tankstelle ins Netz gestellt, wo im Hintergrund ein heller Blitz der Explosion sichtbar war. Andere User posteten und reposteten das Video, in dem am Horizont eine dicke schwarze Rauchwolke hing.

Kurze Zeit später wurden dutzende von Reportern, lokaler Zeitungen und Politikern mit ähnlichen Meldungen überschwemmt. Ein Benutzer hatte ein Bild von der Hauptseite der CNN-Homepage gepostet, beim dem man schließen konnte, dass der Vorfall bereits in den nationalen Nachrichten publik gemacht wurde. Ein Video tauchte in Youtube auf, in dem sich der islamische Staat zu einem Anschlag auf die Chemiefabrik bekennen würde.

In diesem Video traten maskierte Männer vor die Kameras und im Hintergrund war das Video mit der Explosion zu sehen. Eine Frau mit dem Username @zpokodon9 hat an Karl Rove (Amerikanischer konservativer Politiker) getwittert:

"Karl, ist an der Explosion von #ColumbianChemicals wirklich der Islamische Staat beteiligt? Sag Obama, dass er den Iraq schneller bombardieren solle".

Auf CNN war jedoch nichts von einer Katastrophe und auch nicht von einem Terroranschlag zu verzeichnen. Der ganze Vorfall hat sich nie zugetragen und wurde inszeniert. Falsche Blogger, falsche Profile, falsche Videos, falsche Nachrichten und Fotos.

In St. Mary hat Duvall Arthur schnell mit seinen Angestellten gesprochen und fand heraus, dass keiner von ihnen Warnungen über den Unfall geschickt hatte. Noch am gleichen Tag folgte eine Presseerklärung der Chemiefirma, indem es erklärte, dass es sich um einen Fake und besonders geschmacklosen Vorfall handeln würde und da gewisse Menschen einen morbiden Sinn für Humor hätten.

Die Behörden haben versucht die Telefonnummern, aus denen die falschen Meldungen stammten, zu verfolgen, jedoch ohne viel Erfolg. Die Untersuchungen zu dem Fall dauern noch bis heute an.

Den Vorfall als Zeitungsente zu bezeichnen, wäre keine treffende Bezeichnung. Es war auch kein schlechter Scherz eines psychisch Kranken.

Es handelte sich dabei um eine geplante und gezielt eingesetzte Kampagne der Fehlinformation, die durch dutzende von bezahlten Aktionen, wie Fake-Accounts, gefälschten Nachrichten und Profilen inszeniert wurde.

Die Verbrecher haben nicht nur ein Bild von der CNN-Homepage gefälscht, sondern voll funktionsfähige Klon-Websites der lokalen Louisiana Fernsehsender und Zeitungen eingerichtet, ein Video gedreht und sogar ein Artikel über die Explosion bei Columbian Chemicals bei Wikipedia veröffentlicht.

Mehrere Dutzend gefakte Twitter-Accounts haben gefakte Informationen verbreitetet und mehrere Stunden lang bekannte Politiker und lokale Zeitungen mit Twits und Meldungen zugespammt. Alles, um die weitmöglichste Verbreitung zu erreichen.

Eine solche Kampagne konnte auch nur von einer Gruppe von Programmierern, Videoproduzenten und bezahlten Content Produzenten umgesetzt werden.

Der Ebola-Fall in Atlanta

Dennoch ist das, was in St. Mary passiert ist, kein Einzelfall. In letzten ein paar Jahren wurde eine Reihe ähnlicher Attacken in den Vereinigten Staaten durchgeführt. Schon ein paar Monate später (Dezember 2015) haben Meldungen über Ebola-Fälle in Atlanta für eine leichte Panik in der Bevölkerung und eine große mediale Wahrnehmung gesorgt. Ins Spiel kamen die selben Twitter-Accounts wie im #ColumbianChemicals Fall.

In diesem Zuge kam es zu einer konstruierten Nachrichtenlage, die haargenau nach dem Muster von St. Mary durchgezogen wurde. Die Meldung: "Ausbruch und Ebola Epidemie in Atlanta!".

 

Für die Kampagne wurde ein ähnliches Szenario geschaffen. Wie beim letzten Mal haben die Autoren der gefälschten Nachrichten eine große Aufmerksamkeit auf jedes Detail gelegt, was darauf hinweist, dass ein erheblicher Aufwand betrieben wurde. Es gab gefälschte Videos mit Darstellern, die auf einschlägigen Videoportalen wie YouTube veröffentlicht wurden. In einem Video haben Ärzte in Schutzanzügen am Flughafen einen Betroffenen auf einer Bahre abtransportiert. Im Hintergrund trug ein LKW auf dem Parkplatz das Logo des Hartsfield-Jackson Atlanta International Airport. In sozialen Netzwerken kamen Meldungen mit Hashtag #EbolaAtlanta für eine kurze Zeit unter Top-Hashtags bei Twitter für Atlanta.

Der Mordfall an einer Schwarzen

Rassenunruhen und Polizeigewalt gegen Schwarze in den USA haben das Bewusstsein der Bevölkerung geschärft. Die Stimmung ist und war entsprechend aufgeheizt. Kurz nach dem Mord an Michael Brown in der Stadt Ferguson und die nachfolgenden Rassenunruhen, zeitgleich mit #EbolaAtlanta, platzte eine Meldung über den vermeintlichen Mord einer unbewaffneten schwarzen Frau in Atlanta genau in diese aufgeheizte Stimmung. Dieser Mord soll ebenso durch die Polizei ausgeübt worden sein.

Mord an einer Schwarzen

Mord an einer Schwarzen. Quelle: flickr / Chris Yarzab / CC BY 2.0

 

Die Auftraggeber dieser PR-Kampagne haben so versucht weitere Angst und Unruhen in der Bevölkerung zu schüren. Es wurde ein Video ins Netz gestellt, indem in verschwommenen Bilder zu sehen war, wie ein Schwarzer von einem Polizisten in Uniform in den Kopf geschossen wurde. In dem Video kam auch ein vermeintlicher Passant zu Wort, der diese Situation kommentierte.

Bei der Analyse der Stimme des Passanten, konnte festgestellt werden, dass es die gleiche Stimme war, die im Video des Chemieunfalls gesprochen hatte. In beiden Videos war ein Mann zu hören, der versucht hat sich wie ein Amerikaner anzuhören, seinen Akzent jedoch nicht immer verbergen konnte und eher wie ein Australier klang.

Propaganda. Quelle: flickr / Michelle Foucault / CC BY 2.0

Wer sind die Drahtzieher?

Wer steckte dahinter und wer könnte ein Interesse an dieser Art der zersetzenden Propaganda haben? Es finden sich außer der erfundenen Vorfälle tausendfach Kommentare in Foren, in sozialen Netzwerken und auf den Kommentarseiten von Online-Portalen - auch auf deutschsprachigen Seiten.

 

Wer steckte dahinter und wer könnte ein Interesse an dieser Art der zersetzenden Propaganda haben? Es finden sich außer der erfundenen Vorfälle tausendfach Kommentare in Foren, in sozialen Netzwerken und auf den Kommentarseiten von Online-Portalen - auch auf deutschsprachigen Seiten. Äußern sich da nur politisch engagierte Leser? Oder stecken auch gezielte Kampagnen dahinter?

Hier eine Parallele zu Russland zu ziehen, dürfte nicht schwer fallen, denn wer es schafft im Land faktisch seine politischen Gegner mundtot zu machen, für den dürfte es ein leichtes sein, eine gezielte Diffamierung über das Internet zu betreiben. Kalter Krieg kann auch so aussehen.

Undercover Recherchen

Ljudmila Sawchuck Diese Informationen bestätigen auch die Einblicke, die die Ljudmila Sawchuck aus ihrer Recherche undercover beziehen konnte. Sawchuck sich in der Agentur für Internet-Recherchen (AII) (russ. "Агентство интернет-исследований" abgekürzt "АИИ") anstellen, um ihre Recherche zu betreiben.

"Zu einer meinen Aufgaben zählte es, auf russischen Sites negative Einträge über die russische Opposition zu verfassen. In diesen Kommentaren sollte ein Horrorszenario geschaffen werden, dass die USA und der Westen, faktisch als Feinde, dabei sind Russland einzukreisen. Bei den positiven Kommentaren war es Putin, der als wahrer Retter des Russlands gelobt werden musste."

Die Mitarbeiter der Firma bestehen in der Hauptsache aus Studenten. Da die Bezahlung überdurchschnittlich ist, kommt es kaum zu Klagen. Frei nach dem Motto: "Wes Brot ich ess', des Lied ich sing".

Fabrik der Trolle

Als im Herbst 2014 Adrian Chen über diese Vorfälle Kenntnis erlangte, hatte er eine Idee. Er hatte ohnehin seit einiger Zeit versucht, die Aktivitäten von einer mysteriösen Organisation in Sankt-Petersburg zu untersuchen, die Fehlinformationen im Internet verbreiteten. Sie operieren unter vielen Namen, aber am berühmt berüchtigtsten ist die Agentur für Internet-Recherchen.

Diese Agentur war für seine Hunderte von russischen Mitarbeitern berühmt, die im Internet, darunter besonders bei Twitter, die Pro-Kreml-Propaganda unter falschen Namen verbreiteten, um ein Feld für die Unterstützung des russischen Regimes zu schaffen. Im Kampf gegen die russische Opposition. Im Krim-Konflikt. Für Putin. Dazu wird sie oft "die Fabrik der Trolle" genannt.

Trollface Meme

Trollface Meme

 

Je mehr Chen die Aktivitäten der Agentur untersuchte, desto mehr Verbindungen hat er zwischen ihnen und den amerikanischen "Zeitungs-Enten" aus Atlanta gefunden. Im April habe Chen beschlossen, nach Sankt Petersburg zu reisen, die Agentur zu suchen und Methoden der Informationskriegsführung zu erforschen, die gegen politische Gegner zu Hause und Feinde Russlands im Ausland angewendet werden.

So fand sich Adrian Chen sieben Monate nach dem inszenierten Unfall im Chemiewerk in einem dunklen Café in Sankt-Petersburg wieder. Geplant war ein Treffen mit einem der ehemaligen Mitarbeiter der PR-Agentur, die die Erkenntnisse und Beweise erneut erhärten sollten. Eine ehemalige Mitarbeiterin der Agentur war Ljudmila Sawtschuk.

Ljudmila Sawtschuk

Ljudmila Sawtschuk. Quelle: paperpaper.ru

 

Die Burg der Trolle

Sawtschuk sagte, dass im Büro in der Sawuschkina Strasse 55, 12-Stunden-Schichten gefahren werden, die von morgens 9 Uhr bis 21 Uhr andauern würden. Geschätzt arbeiteten dort rund 400 Personen im Gebäude.

"Es gab verschiedene Abteilungen, die teils nach den sozialen Netzwerken unterschieden wurden und unterschiedliche Beiträge produzierten. VKontakte, Facebook, Twitter, Livejournal, Instagram – überall im Netz. Die ganze Abteilung war außerdem nur damit beschäftigt, Kommentare auf Seiten bekannter russischer Tageszeitungen zu hinterlassen. Innerhalb des Gebäudes gab es rund 40 Büros.

Jeder Tag verlief nach gleichem Muster. Bei Arbeitsbeginn wurden die IP Adressen über Proxy-Server verborgen und weitere Sicherheitsmaßnahmen getroffen, um die Identität zu verschleiern. Für jeden Tag bekamen wir aufs Neue die Themen, die gefördert werden mussten. Einer der Themen, um die es immer wieder ging, war der Bürgerkrieg Ukraine Russland", so Sawtschuk.

Sawtschuk und ihre Kollegen mussten Kommentare mit Beleidigungen verfassen, die dem Präsidenten der Ukraine Poroschenko galten. Ferner waren das auch detaillierte Beschreibungen über Gräueltaten des ukrainischen Militärs. Viele Beiträge gingen auch um innenpolitische Themen, die die wirtschaftliche Lage in Russland besser darstellen sollten.

Nach dem Rubel-Verfall und während der darauf folgenden russischen Finanzkrise 2014-2015 hat sich die Troll-Armee damit beschäftigt, die Lage schön zu reden und in Tausenden von Beiträgen und Kommentaren zu erzählen, wie sich die russische Regierung darum bemüht, die Lage gerade zu klären und dass es um Russland bald alles wieder gut stehen wird.

Nach dem Mord des Oppositionspolitikers Boris Nemzow wurden sämtliche Abteilungen dazu aufgefordert Kommentare zu schreiben, die die Verantwortlichkeit für den Mord eigenen Weggefährten Nemzows zuschreiben würden. Sinngemäß, als hätte die Opposition den Mord selber in Auftrag gegeben.

Nach Angaben Sawtschuks, teilte sie sich ein Büro mit einem halben Dutzend Kollegen. Ihre Gruppe war kleiner, als die der anderen, weil sie zu einer Art Elitegruppe gehörte, die auf besonders brisante Themen angesetzt wurde. Die anderen Abteilungen haben immer die Ähnlichen pro-Kreml Kommentare produziert, während sie und ihre Kollegen glaubhafte Charaktere schaffte, die sich von der Masse gehoben sein sollte.

Sawtschuk hatte drei solche Charaktere kreiert, jeder davon hat ständig Beiträge in seinem Blog veröffentlicht. Eines war die einer Wahrsagerin namens Cantador. Angeblich sollte Sie Dinge voraussagen können, da sie Informationen aus der Unterwelt erhalten würde. Neben Ratschlägen zu Beziehung, Liebe und weiteren Themen, kamen aber auch Vorhersehungen, die einen Sieg Putins und Niederlage Barack Obamas und Poroschenkos sehen würden. Sawtschuks Aufgabe war es, sorgfältig Propaganda in alltägliche Argumentation von einem vermeintlich unpolitischen Menschen zu inserieren. In der Tat war Sawtschuk zu einem Internet-Troll geworden.

Trolle

Der Begriff Troll erschien in den frühen 90er Jahren zum ersten Mal und ist eine missbilligende Bezeichnung für einen User, der die wahre Kommunikation im Internet stört. Trolls haben einen Strom von endlosen Beleidigungen und abstoßenden Fotos publiziert, darunter hat jede Diskussion sehr gelitten.

Trolle in unserer Zeit sind Fans des Islamischen Staats, der unter der Pseudonym die Beleidigungen an kritisch gesinnten Journalisten schreibt oder jemand, der die Demonstration gegen Polizeigewalt zu diskreditieren versucht und gibt vor, ein Demonstranten-Hooligan zu sein.

Auf beiden Seiten jedes größeren Konflikts im Internet kämpfen Armeen von Trollen.

"Aber erst die Internet Research Agency überführte das Trolling in einen industriellen Maßstab. Das Management dort war besessen von Statistiken: Seitenaufrufen, der Anzahl der publizierten Beiträge etc. Dort herrschte ein System von Belohnung und Bestrafung. Dennoch herrschte auf der unteren Ebene ein starker Teamgeist"

- so Sawtschuk.

Ihr Arbeitsprogramm bestand aus zwei aufeinanderfolgenden Schichten á 12 Stunden, die von zwei freien Tagen gefolgt wurden. Vorgabe war es fünf politische Beiträge, zehn nichtpolitische und 150-200 allgemeine Kommentare zu Beiträgen von anderen Kollegen zu verfassen, und dabei möglichst unverdächtig zu erscheinen.

Im Laufe der Zeit, begann diese Arbeit bei Sawtschuk ein schlechtes Gefühl zu verursachen: sie musste diffamierende Dinge über die Führer der Opposition schreiben, über die sie persönlich keine Meinung hatte, oder über die Ukrainer im Allgemeinen - trotz der Tatsache, dass die Ukrainer ihre engsten Freunde waren, darunter auch ihr Ex-Mann.

Das Durchschnittsalter der Mitarbeiter war selten höher als 30 Jahre und ging durch nahezu alle gesellschaftlichen Schichten. Unabhängig vom Bildungsgrad oder der politischen Ausrichtung, wurde alles eingestellt. Folglich wimmelte es in den Beiträgen nur so vor grammatikalischen Fehlern. In Büro sprachen Agenturmitarbeiter von Peter Poroschenko, mit abfälliger Bezeichnung über Homosexuelle und Barack Obama wurde als Affe bezeichnet.

Damit die Rechtschreibfehler und Unkenntnisse eliminiert und das Allgemeine Bildungsniveau erhöht wird, versuchte die Führung die Mitarbeiter zu schulen. Anderen Mitarbeiter wurden in "Politikwissenschaft" unterrichtet, um die Position Russlands zu verschiedenen Fragen zu klären.

Vieles blieb aber auch den leitenden Mitarbeitern im Verborgenen. So wussten viele Mitarbeiter nicht einmal der Namen des Leiters der Abteilung. Alle mussten eine Geheimhaltungsvereinbarung unterzeichnen, erhielten jedoch keinen Arbeitsvertrag. Das Gehalt war für russische Verhältnisse hoch, rund 770,- Euro, was dem Gehalt eines Universitätsprofessors gleichkommt.

Während der Arbeit hat Sawtschuk geschafft, Dutzende von Dokumenten in ihr persönliches E-Mail-Postfach zu kopieren und viele der Kollegen zu befragen. Sie machte heimlich ein Video von einem Tag im Büro. Im Februar 2015 gab sie alle ihre Ergebnisse einem Korrespondenten der Zeitung "Moy Rayon" - die lokale Zeitung, die für ihre unabhängigen Reportagen bekannt ist. Aus diesen Dokumenten zusammen mit den Geschichten von Sawtschuk wurde die detaillierteste Beschreibung des täglichen Lebens der Kreml Trolle.

Die Aussagen der Journalistin Sawtschuk sorgten in den Medien für entsprechendes Aufsehen und Öffentlichkeit, aber nicht, weil da etwas bekannt wurde, was neu war, nein, vielmehr war es eine Bestätigung für etwas, was schon lange vermutet wurde.

Es ist nun amtlich – die Trolle gibt es!

Im April 2015 hat sich in Russland ein besonderes Ereignis zugetragen: die Ex-Mitarbeiterin der Sankt-Petersburger Trolle-Fabrik Ljudmila Sawchuck hat ihren früheren Arbeitgeber, die "Agentur für Internetforschung", offiziell verklagt. Am 1. Juni 2015 hat ein Verfahren vor dem Sankt-Petersburger Bezirksgericht begonnen.

Sawchuck verklagte die "Agency" wegen des fehlenden offiziellen Arbeitsvertrags und einer außerordentlichen Kündigung, außerdem forderte sie die Zahlung ihres nicht ausgezahlten Lohnes für einen Monat sowie auch eine materielle Entschädigung von einem symbolischen Betrag von 1 Rubel. In Wirklichkeit wollte jedoch die Klägerin die eigentliche Existenz der Troll-Fabriken der ganzen Welt beweisen und die obskuren Praktiken der Fake-News Agentur ans Licht bringen.

Ljudmila Sawtschuk

Ljudmila Sawtschuk. Quelle: http://www.sguschenka.com/151126-troll

 

Im August 2015 hat Sawchuck das Verfahren gegen ihren früheren Arbeitgeber offiziell gewonnen. Sehr viele waren überrascht, dass das Gericht sich auf die Seite Sawchucks schlug.

Während des Gerichtsprozesses hat das Unternehmen mit der gekündigten Sawchuck nachträglich einen formellen Arbeitsvertrag geschlossen und bezahlte ihr die Gehaltsrückstände. Das Gericht erkannte Sawchucks moralische Schäden an und sprach ihr eine Entschädigung durch den Kläger in Höhe von 1 Rubel zu.

Putin, Prigoschin. Quelle: novayagazeta.ru

Kreml Koch

Böse Zungen behaupten, dass die "Agency" und all ihre Aktivitäten über Putins Freund, dem so genannten "Kreml Koch" Jewgeni Prigoschin, finanziert und geleitet werden.

 

Böse Zungen behaupten, dass die "Agency" und all seine Aktivitäten über Putins Freund, dem so genannten "Kreml Koch" Jewgeni Prigoschin, finanziert und geleitet werden. Prigoschin bekommt vom Kreml sehr profitable Catering-Aufträge, natürlich, wie es in Russland üblich ist, ohne jegliche öffentliche Ausschreibungen.

Das bestätigt ferner eine Mitarbeiterin der russischen "Novaja Gazeta", die sich undercover in der Agency einstellen ließ. Sie staunte nicht schlecht, als sie in einer Abteilungsleiterin eine Mitarbeiterin und enge Verbündete Prigoschins erkannt hat, die früher bei "Konkord" gearbeitet hatte, einem weiteren Gastrounternehmen von Prigoschin. Diese Vermutungen haben sich noch einmal bestätigt, als Geldüberweisungen von "Konkord" an die "Agency" aufgetaucht sind.

Wenn dem so ist, dann heißt das, dass Prigoschin nicht das erste Mal Intrigen gegen Regierungsgegner unterstützt. "Novaja Gazeta" berichtete, dass Prigoschin einen Film finanziert hat, der im "NTV", einem kremltreuen Fernsehsender ausgestrahlt wurde, und Regierungsgegner mit frei erfundenen Tatsachen im schlechten Lichte erscheinen lässt. Unter anderem wird behauptet, dass die Teilnehmer von Anti-Putin-Demonstrationen 2011 alle aus dem Ausland finanziert und gekauft worden sein sollen.

Mehrere Tausende Trolle

Platon Mamatow "Von Jahr zu Jahr gibt es immer mehr von diesen bezahlten Trollen", - sagt Platon Mamatow, der nach seiner Aussage eine eigene kleine Trollen-Fabrik zwischen 2008 und 2013 im Ural, im Norden Russlands, geleitet hat. Er hatte abwechselnd von 20 bis höchstens 40 Mitarbeiter, bestehend vorwiegend aus jungen Müttern und Studenten, die Anweisungen vom Kreml und der sibirischen Abteilung der Regierungspartei "Einiges Russland" ausgeführt haben.

Mamatow sagt, dass überall in Russland ein ganzes Netz von solchen Kleinagenturen wie seine verstreut sind, die auf allen Internet-Ebenen mit Anweisungen von Regierungsbehörden arbeiten. Weil das eine geheime Branche ist, wird das Ganze über ein verteiltes System versteckter Firmen mit nichtssagenden Namen finanziert. Eine genaue Anzahl der im System beschäftigten Trolle festzustellen scheint deshalb unmöglich.

"Aber es sind garantiert Tausende, mehrere Tausende" - behauptet Mamatow.

Prisma. Quelle: "Homeland"

Prisma

Nach der Beschreibung auf der Herstellerwebsite, untersucht "Prisma" operativ Spuren in Social-Media-Aktivitäten, die zu steigenden sozialen Spannungen, Proteststimmungen oder gar Extremismus führen. Oder, wie Forbes sagt, ist "Prisma" - ein nie endendes Schlachtfeld.

 

Prisma

Die Spitze des Pro-Kreml Trolling fiel in die Zeit der Massenkundgebungen im Jahr 2011, Ende des Jahres, als Zehntausende von Menschen auf die Straßen der russischen Städte gingen, um gegen die Fälschung der Parlamentswahlen zu protestierten. Demonstrationen organisierten sich vor allem über Facebook und Twitter, und wurde von der Anti-Korruptions-Aktivistien wie Alexei Nawalny angeführt.

Als ein Jahr später Wjatscheslaw Wolodin zum stellvertretenden Leiter Putins wurde und Verwaltung und Koordination der internen Politik übernahm, lag eine seiner obersten Prioritäten darin, die Kontrolle über das Internet zu übernehmen. In der russischen Version des Magazins Forbes Russlands stand, dass das erste, was Wolodin in seinem Büro machte war, ein Terminal mit dem "Prisma" System zu installieren, das 60 Millionen Social Profile und andere Quellen überwachte, um die Schwankungen der öffentlichen Meinung zu bestimmten Fragen nachzuvollziehen.

WOW-Effekt!

Netflix ist der Kanal für Kult-Serien, über die man am nächsten Tag noch spricht. Dabei ist Netflix nicht nur Anbieter von Filmen und Serien aus Hollywood, nein, sie produzieren auch Serien – und das mit Erfolg!

"Homeland" ist so eine Erfolgsserie, die immer weiter fortgeführt wird. 2017 nahm man sich unter anderem dem Thema "Troll-Fabriken" an. Das Prisma ist eine visuelle Darstellung, die an die Wand projiziert wird und auf der Tausende von Fakeaccounts, Trolle und sozialen Netzwerke abgebildet werden. Zuschauer werden beim Anblick der Masse von Internet-Trollen einfach erschlagen. Das Prisma mit dem WOW-Effekt:

Schlacht an mehreren Fronten

Die Schlacht wurde an mehreren Fronten ausgetragen. Eine Reihe von Gesetzen richteten sich an Blogger, um sie einer Kontrolle zu unterziehen. Es wurde eine Art Registrierungspflicht für Blogger mit der Tagesreichweite ab 3.000 Besucher täglich eingeführt.

Andere Gesetze erlauben Behörden ohne richterlichen Beschluss unerwünschte Seiten zu sperren. Einige Internet-Plattformen, wie zum Beispiel Yandex wurden zunehmend politischem Druck ausgesetzt, während andere, wie VKontakte, unter Kontrolle der kremlnahen Personen gestellt wurden.

Putin wollte dem Internet seine ideologische Färbung verpassen und er bezeichnet das Internet als "CIA-Projekt", vor dem sich die Russen schützen müssen. Gleichzeitig wird eine neue Welle der Internetpropaganda mit prohibitiven Maßnahmen ins Leben gerufen.

Elizabeth Surnacheva Die russische Regierung hat Unterstützung bei den gleichen PR-Firmen gesucht, die die Strategie des Verhaltens in sozialen Netzwerken für große Handelsmarken entwickeln. Laut Elizabeth Surnacheva, Journalistin von "Kommersant", begann die Platzierung von kremlfreudlichen Beiträgen neben den üblichen Blog-Posts bekannter Blogger, die sonst nur über die Schuhe und Ernährung schreiben.

Surnacheva erzählte auch, dass die Regierung auch Propaganda sogar durch die bekannten Blogger aus der Schwulenszene zu verbreiten versucht – ein merkwürdiger Ansatz, wenn man bedenkt, dass vor kurzem in Russland das berüchtigte Gesetz verabschiedet wurde „homosexuelle Propaganda“ unter Minderjährigen zu verbieten.

All diese Ereignisse führten nach und nach bei Journalisten und Aktivisten zu der Erkenntnis, dass das Internet kein Feld mehr für die russische Opposition darstellen kann, da man gegen die Flut der bezahlten Trolle sowieso keine Handhabe mehr hat.

Leonid Wolkow Der Propagandafeldzug, die mit sämtlichen Dirty Tricks der PR generalstabsmäßig durchgezogen wurde, lässt die Opposition machtlos zurück. So mutet die Aussage eines Vertrauten und Weggefährten Navalnys, Leonid Wolkow, der Politiker und Leiter der Wahlkampfzentrale war, entsprechend resigniert:

"Wir haben aufgehört das Internet als unser ureigenes Feld zu sehen, um Dingen von der Basis und demokratisch zu verändern. Unlängst ist das Internet zu einem Instrument mutiert, das von denen mit Informationen überrollt wird, die über entsprechendes Geld verfügen und auch alle etwaigen Skrupel über Bord werfen."

Teilweise sind diese Effekte aber auch auf den demografischen Wandel zurückzuführen. Anfangs waren es noch die jungen, meist gut ausgebildeten und liberalen Menschen, die das Internet für sich genutzt haben. Das hat sich aber grundlegend geändert. Es entdeckt nun die breite Masse, die Putin unterstützt, das Internet immer mehr für sich.

Außerdem betont Wolkow: "Dank der unermüdlichen Arbeit von Trollen, die bezahlt werden das zu schreiben, was mächtige Geldgeber hören möchten, kann der User immer weniger zwischen Wahrheit und falschen Informationen unterscheiden".

"Die Idee dahinter ist es Diskussionen und Opposition im Keim zu ersticken, eine Atmosphäre des Hasses so virulent zu schaffen, dass jeder normaler Mensch hier die Segel streicht", sagt er.

"Vergessen wir nicht, dass das Internet in Russland weniger als 50 Prozent der Bevölkerung aktiv genutzt wird. Die anderen müssen noch das Internet für sich entdecken. Da ist es wichtig hier einen ersten Eindruck zu hinterlassen, der prägend ist."

Grundsätzlich ist auch das Internet ein Raum, indem auch die russische Opposition ihren Standpunkt zum Ausdruck bringen kann. Dennoch wird die Opposition von so vielen Trollen übertönt, dass es nicht mehr dazu kommt, dass sie wahrgenommen werden. Das Internet kann somit in Sachen russischer Propaganda nicht mehr als demokratischer Raum bezeichnet werden, vielmehr ist es zum Ort für Informationskriege geworden.

Der russische Informationskrieg kann als das Trolling von größtem Ausmaß in der Geschichte des Internets betrachtet werden. Sein Opfer: der freie, demokratische und grenzenlose Informationsraum namens Internet.

Hacker. Quelle: flickr / iaBeta / CC BY 2.0

Anonymous International

Anonymous International veröffentlichte im Internet Hunderte von E-Mails, die angeblich von Computern der Mitarbeitern der Agentur für Internetforschung gestohlen wurden.

 

Anonymous International veröffentlicht E-Mails

Die Verbindung herzustellen zwischen der "Ente" über den nicht stattgefundenen Unfall in der Chemieanlage von Columbian Chemicals und der russischen "Agentur für Internetforschung" wurde vornehmlich durch die Opposition vorangetrieben.

Im Sommer 2014 hat eine Gruppe von Aktivisten, die sich "Anonymous International" nennen – und die nichts mit der anderen bekannten international agierenden Hacker-Gruppe "Anonymous" zu tun haben - im Internet Hunderte von E-Mails veröffentlicht, die angeblich von Computern der Mitarbeitern „Agentur für Internetforschung“ gestohlen wurden.

Es war nur eins von einer Reihe von Einbrüchen, die "Anonymous International" durchgeführt haben und die sich gegen den Kreml richteten. Unter den E-Mails fanden sich diskreditierende Fotos von Putins Freunden und weitere unangenehme Unterlagen und Nachweise.

Hacker haben behauptet, dass sie Zugang zum Smartphone von Premierminister Dmitri Medwedew erlangt haben und in seinem Namen auf Twitter geschrieben haben: "Rücktritt. Ich schäme mich über die Handlungen der Regierung. Es tut mir leid."

Dmitri Medwedew

Dmitri Medwedew

 

Aus den veröffentlichten Unterlagen geht hervor, dass die "Agency" auf Englisch zu trollen begann. In einem der Dokumente wird ein Projekt namens "World Translation" erwähnt. Laut der Autoren dieses Projekts,

kommen im englischsprachigen Internet auf eine positive Meinung über Russland vier negative und das Ziel des Projektes sollte darin bestehen, dieses Verhältnis zu ändern.

In einem anderen Brief war eine Liste der Accounts von Trollen aufgelistet, die im englischsprachigen Internet aktiv verwendet wurden. Nach einer Veröffentlichung von BuzzFeed, hat Chen begonnen, nach den in dieser Liste aufgeführten Konten zu suchen und deren Aktivitäten im US-amerikanischen Internet zu untersuchen.

Darf ich mich vorstellen: "I am Ass"

Eins von solchen Accounts trug den Namen "I am Ass". Der "Arsch" hatte Accounts auf Twitter und Instagram, mehrere Accounts auf Facebook, sowie auch seine eigene Website. Auf dem Avatar vom „Arsch“ war ein Gesäß mit einem hässlichen Grinsen zu sehen.

In seinen sozialen Netzwerken hat "Arsch" Links zu Nachrichten veröffentlicht und diese mit eigenen Kommentaren versehen. "Arsch hatte einen extrem unreifen Sinn für Humor und die primitivsten Kenntnisse der englischen Sprache. Er hasste Obama vom ganzen Herzen.

"Arsch" verfasste viele Kommentare über Obama, mit vielen Großbuchstaben versehenen und geschmacklosen Witzen versehen. Zum Beispiel kann ein typischer Beitrag von "Arsch" auf Facebook so aussehen:

Der Link auf die Nachricht über das Blutvergießen, von ISIS-Militanten im Irak und der Kommentar: "I’m scared and farting! ISIS is a monster awakened by Obama when he unleashed this disastrous Iraq war!" – in gebrochenem Englisch. Zu Deutsch: "Ich habe Angst und ich furze! ISIS ist ein Monster, das von Obama geweckt wurde, als er diesen katastrophalen Irak-Krieg entfesselte".

Trotz der nicht angenehmsten Art und Weise, in der "Arsch" geschrieben und kommentiert hat, war er in der Lage, die Herzen von einem halben Dutzend Fans zu gewinnen, die seine Beiträge regelmäßig geliked und seine Beiträge kommentiert haben. Sie hatten mehrere Dinge gemeinsam. Alle ihre Konten auf Facebook wurden im Sommer 2014 erstellt. Auf den Fotos waren alle gut gekleidet und mutmaßlich alle wohnhaft in großen amerikanischen Städten.

Es schien aber so, als hätten sie alle kein reales Leben. Stattdessen widmeten diese vermeintlich echten Profile ihre ganze Zeit, um kritische Kommentare zu Politik, US-Medien und anderen Themen in großen politischen Netzwerken wie CNN, Politico oder Fox News zu schreiben. Diese Kommentare waren alle eindeutig gegen Präsident Obama gerichtet. Die Profilbilder haben alle anderen Personen gehört, was sich über die Google Bildersuche-Funktion schnell prüfen ließ. Alle diese Accounts waren auch Fakes.

Potemkinsche Dörfer der Trolle. Quelle: flickr / Johannes Ortner / CC BY 2.0

Potemkinsche Dörfer

Potemkinsche Dörfer ist ein historischer Mythos über die Schein-Dörfer, die angeblich im Jahr 1787 für die Katharina II auf der Strecke während ihrer Reise am Schwarzen Meer auf Befehl des Fürsten Potemkin aufgebaut wurden. Die Legende entspricht nicht den historischen Gegebenheiten.

 

Potemkinsche Dörfer der Trolle

Chen hat alle Trolle, die er auf Facebook finden konnte, zu den Freunden hinzugefügt und beobachtete ihre Tätigkeit. Grundsätzlich haben sie Inhalte von Seiten wie vom "Arsch" geshared, mit Entertainment-Inhalten, die eindeutig für die virale Verbreitung in sozialen Netzwerken vorgesehen waren. Es gab zum Beispiel eine Gruppe "Breiten Sie Ihre Flügel aus" - "Spread your wings", deren Beschreibung stand, dass dies eine Community für die alle ist, deren Herz Amerika gehört.

In der Gruppe "Spread your wings" wurden endlose Fotos der amerikanischen Fahne und Internet-Memes gepostet, wie großartig es ist, ein Amerikaner zu sein, aber dieser Patriotismus war schon sehr heuchlerisch auf dem Hintergrund der ständigen Kritik an Obama und ständigem Durcheinander von liberalen und konservativen Aussagen, die kein einziger echter Amerikaner unterschreiben würde.

Obamanomics

Obamanomics. Quelle: flickr / SS&SS / CC BY 2.0

 

Es gab auch eine Gruppe über Kunst namens "Art Gone Conscious", die mittels Beispielen von schlechter Kunst, Obamas politische Ausfälle nicht sehr überzeugend dargestellt hat, sowie auch eine "Celebrities against Obama"-Gruppe. Beiträge, die jeden Tag in diesen Gruppen erschienen, wurden alle von Trollen, den Bewohnern die virtuellen Potemkinschen Dörfer, erstellt, kommentiert und geshared.

"Material Evidence"

Einige Wochen später erhielt Chen eine seltsame Benachrichtigung in seinem Facebook-Account von einer gewissen Polly Turner aus Seattle. Er bekam eine Einladung zu einem "echten", nicht virtuellen Ereignis. Es war ein Vortrag in New York, der der Eröffnung einer Ausstellung namens "Material Evidence" – "Materielle Beweisstücke" gewidmet war.

Chen hatte von "materiellen Beweisstücken" bereits gehört. Die Ausstellung wurde über bunte Plakate in der U-Bahn und an den New Yorker Bussen beworben: schwarz-weiße Fotografien von Männern in Tarnkleidung, mit Gesichtern hinter Masken versteckt, über die in großen Buchstaben geschrieben wurde "Syrien, Ukraine... Wer ist der Nächste?"

Auf der Website des Projektes, stand, dass es eine Wanderausstellung ist, die durch "einzigartige Fotografien, Artefakte und Videos", "die Wahrheit" über den Bürgerkrieg in Syrien, sowie die Revolution in der Ukraine im Jahr 2014 enthüllt. Chen besuchte die Facebook-Seite von "Material Evidence" und hat gesehen, dass viele andere Trolle, darunter sein "alter Freund Arsch" eingeladen wurden.

Die Ausstellung eröffnete im September 2015 im Keller der Galerie ArtBeam in Chelsea. Eine Ausstellung der besonderen Art. Am Eingang fand sich ein Hinweis auf dem stand, dass die Organisatoren keinerlei politischen Ziele verfolgen würden. Aber sofort war einem klar, dass das genau das Gegenteil sein würde.

Krieg in der Ukraine

Krieg in der Ukraine

 

Hier waren es die Fotografien, die dadurch auffällig waren, da durchweg in einer ausgesprochen guten Qualität waren, was für Kriegsbilder eher selten der Fall ist. Abgebildet war die Unmenschlichkeit der syrischen Rebellen, die wehrlose Zivilisten töten. In diesem Szenario finden sich Fotos in denen in einem Fitnessstudio Bewaffnete angeblich Gefangene foltern. An der Wand hing ein Bild eines Kämpfers in heroischer Pose. Sie sollten als Beweis für besondere Gewalt gegen Zivilisten stehen. Als weitere Beleg wurden die Fotos mit dem Zusatz versehen: "Diese Bilder hat das Verteidigungsministerium in Syrien zur Verfügung gestellt."

Dann gab es Bilder von der ukrainischen Revolution. Fast alle Bilder der Demonstranten waren als rechtsradikale Aktivisten dargestellt. Gewaltfreie Demonstranten wurden nie abgebildet, hingegen Vermummte. Obwohl die Proteste sich durch alle gesellschaftlichen Schichten in der Ukraine zogen, waren nie anderen abgebildet.

Auf dem Boden lagen vermeintliche Beweisstücke, wie ein Helm der völlig zerstört war und von der Polizei sein sollte.

Wer hat aber das Geld gesammelt, um die ganzen Beweisstücke nach New York zu bringen? Den bereits erwähnten Helm, oder einen weißen Lieferwagen - er wurde angeblich von den syrischen Rebellen bei einem erfolglosen Versuch des Terrorakts in die Luft gejagt?

Antworten auf diese und die anderen Fragen hat Chen von Benjamin Hiller, einen deutsch-amerikanischen, ursprünglich aus Berlin stammenden Journalisten nicht bekommen. Er wurde Chen als Kurator der Ausstellung "Evidence" vorgestellt. Es war ein übergewichtiger Mann mit einem Bart, ganz in Schwarz gekleidet, der am Galerieeingang an einem Tisch saß.

Die Beweisstücke sollten allesamt von unabhängigen Journalisten aus Europa, Russland und Syrien zur Verfügung gestellt worden sein. Hiller erklärte, dass die Ausstellung mit 40.000 US-Dollar finanziert worden sei und das Geld für Miete, Transport und die Ausstellung verwendet worden sei. Man habe diese Gelder über Crowdfunding erhalten.

(Seitdem hat Hiller die Organisation bereits verlassen und erwähnt, dass die Ausstellung sich "Desinformation" und nicht-journalistischen Ansatz erlaubt hat, "in Zusammenhang mit welchem er seinem Namen nicht sehen wolle").

Die Ausstellung wird hochgelobt. Von wem? Von Trollen!

Als Chen nach Hause kam, rief er Twitter auf und begann nach Kritiken und Meinungen zur Ausstellung mit dem Hashtag #MaterialEvidence zu suchen. Sofort fielen Chen Dutzende von Accounts auf, auf denen sich vermeintlich echte User sehr positiv zur Ausstellung äußerten. Bei einer zufällig für den Test ausgewählten Userin Namens Zoe Foreman stellte sich heraus, dass ihre Account-Fotos aus dem Internet gestohlen wurden und man sich deren bedient hatte um eben diesen gefakten Account zu erstellen.

Der Kreis schließt sich

Twitter bestand hauptsächlich aus Texten, obskuren Songs und Zitaten für alle Gelegenheiten. Aber am 11. September hat sie bekannte Politiker und Journalisten mit den Berichten über eine schreckliche Explosion in einer Chemiefabrik in St. Mary, Louisiana, zugespammt!

In den Parametern aller dieser Tweets, getaggt mit dem Hashtag #ColumbianChemicals, konnte man erkennen, dass Zoe Foreman - wie fast alle anderen Trolle – sich des Programms "Masss Post" zum Veröffentlichen von Beiträgen bedient hat.

Im Programm selbst wurde eine nicht funktionierende Website erwähnt - Add1.ru. Nach dem Whois-Eintrag der Domain add1.ru wurde diese Domain im Januar 2009 registriert, auf einen Benutzer mit dem Namen Michael Burchik, deren E-Mail-Adresse für diese Domain bis zum Jahr 2012 verbunden wurde. In den Dokumenten, die von "Anonymous International" veröffentlicht wurden, gab es diesen Michael Burchik auch und zwar als der Executive Director der uns gut bekannten "Agentur für Internet-Forschung". Der Kreis hat sich geschlossen.

Februar 2015 rief Chen Burchik, einen jungen Internet-Unternehmer aus Sankt-Petersburg an. Chen wollte mit ihm über die gefälschte Explosion in Louisiana, aber auch darüber sprechen, was damit die „Agentur für Internetforschung“ zu tun hat.

In einem Artikel in der Süddeutschen Zeitung behauptete deutscher Journalist Julian Hans, dass Burchik die Echtheit der von "Anonymous International" veröffentlichten Dokumente bestätigt hat. Aber darauf angesprochen distanzierte sich Burchik von jeder Verbindung mit der Agentur. "Ich habe von einer solchen Organisation gehört, aber ich bin dort nicht beschäftigt", - versicherte er Chen gegenüber.

"Ich habe auch nichts über das Programm Masss Post gehört." Er konnte sich auch nicht erinnern die Domain add1.ru gekauft zu haben, obwohl, sagte Burchik, er "so viele Domains in seinem Leben gekauft und verkauft hat, dass er sich nicht an jede einzelne erinnern kann". Burchik hat angenommen, dass der Leiter der "Agentur für Internetforschung" ein anderer Michael Burchik gewesen sein könnte. Jedoch stimmten die Anschriften von dem Michael Burchik, mit dem Chen sprach, und dem angeblich anderen Michael Burchik überein.

Verbindung nachgewiesen

Andrej Soschnikow In Sankt-Petersburg, war Chen endlich in der Lage, seine Beobachtungen mit Andrej Soschnikow, einem jungen Journalisten der Zeitung "Moy Rayon" zu teilen, dem Ljudmila Sawtschuk die in der Agentur erhaltenen Dokumente übergeben hat. Soschnikow ist dafür bekannt, dass er seine Untersuchungen sehr akribisch durchführt - einmal bildete er ein 3D-Modell der Straße, um genau zu berechnen, wie viel Asphalt bei den Bauarbeiten gestohlen wurde.

Er war einer der ersten russischen Journalisten, der über die "Agentur für Internetforschung" berichtet hat, da er im Jahr 2013 sich dort undercover einstellen ließ. Seitdem hat er die Story mit den russischsprachigen Trollen eng verfolgt, genauso wie Chen seine englischsprachigen Pendants verfolgt hat.

Chen zeigte Soschnikow ein YouTube-Video, welches auf der Facebook-Seite von einem der englischsprachigen Trolle veröffentlicht wurde. Auf dem Video ist eine Animation zu sehen, die die Ausfälle und Schlappen der US-Geheimdienste beschreibt. Chens Aufmerksamkeit hat die Erzählerstimme geweckt. Das war dieselbe Stimme, die er aus einem anderen Fake-Video über die Explosion in Louisiana und Mord in Atlanta (siehe oben) kannte, die Stimme mit dem australischen Akzent.

Soschnikow erkannte sofort die Art der Animation, mit der das Video gemacht wurde. Ihm zufolge wurde es vom Studio "Infosurfing" erstellt, einem Anbieter von Infografiken für Instagram und VKontakte im Auftrag des Kremls. Mit Hilfe von "Yomapic"- Service zeigte Soschnikow Chen, dass alle Fotos vom "Infosurfing"-Account in Instagram im selben Gebäude, in der Sawuschkina Strasse 55 veröffentlicht wurden. Er hat bereits seit einigen Wochen alle dort gemachten Beiträge beobachten können und konnte eine breite Anzahl des durch Trolle hergestellten Contents sammeln.

Soschnikow öffnete den "Infosurfing"-Account auf YouTube und Chen bemerkte sofort ein paar Videos, die im gleichen Stil erstellt wurden, wie die Animation über US-Geheimdienste. Darüber hinaus veröffentlichte "Infosurfing" den gleichen Film in seinem Konto, den, mit dem australischen Akzent. Mit einem Unterschied, dass das Video statt ein "Australier" ein russischer Sprecher eingesprochen hat.

Dies war vielleicht der überzeugendste Beweis für die Verbindung zwischen gefälschten Videos in den Vereinigten Staaten und der Agentur, die unter der gleichen Adresse wie die "Agentur für Internetforschung" ansässig war.

Nach den Enthüllungen über die Internet Research Agency, firmiert man mittlerweile anders und hat auch seinen alten Stammsitz verlassen.

Deutschland

Wer glaubt, dass wir hier in Deutschland nicht von der russischen Propaganda-Maschine betroffen sind, irrt sich natürlich gewaltig. Anbei nur zwei prominenteste Beispiele:

Lisa - wie ein 13-jährige eine diplomatische Krise auslöst!

Die Meldung schlug ein wie eine Bombe: Der russische Außenminister Lawrow trat vor die Presse und teilte mit, dass ein russlanddeutsches Mädchen aus Berlin-Marzahn von mehreren Flüchtlingen vergewaltigt worden sei. Weiterhin bezichtigte er die deutsche Presse, dass sie den Fall verdecken würden. Daraufhin kam es zu sowohl in Deutschland als auch in Russland zu Massenprotesten.

Außenminister Lawrow

Außenminister Lawrow

 

Was steckt dahinter?

Fakt war, dass eine 13-jährige verschwunden war und bei Rückkehr behauptet habe vergewaltigt und entführt worden zu sein. Der Polizei lagen dennoch keine Anhaltspunkte dafür vor.

In Russland war man da schneller. Gerüchte verbreiteten sich sehr schnell und auch alle großen russischen Medien berichteten über den vermeintlich unglaublichen Fall. Als Belege wurde YouTube-Videos gezeigt, die eine Vergewaltigungsszene zeigten, die sich jedoch woanders zugetragen hat und mittels Schnitttechnik so bearbeitet wurde, um den Anschein zu erwecken, es handle sich um die den "Lisa-Fall", die Vergewaltigung in Berlin-Marzahn.

Putins staatlich gelenkten Medien gingen noch einen Schritt weiter und verbanden politische Botschaften des Präsidenten in diesem unmittelbaren Zusammenhang. Viele, auch der Russlanddeutschen waren sehr empfänglich für diese Propaganda Putins. Hier, in Deutschland.

Die Geschichte hat sich übrigens als komplett erfunden erwiesen.

Unabhängig davon, wirft eine Einmischung Russlands in die innenpolitischen Angelegenheiten Deutschlands auf einem dermaßen hohen diplomatischen Niveau sehr viele Fragen auf.

Keine Angst!

Dass die Stimmung nicht gerade die Beste ist zwischen Bundeskanzlerin Merkel und Präsident Putin ist bekannt, und auch, dass die Lage nach der Ukraine-Krise und der nachgewiesenen Propaganda mittels Trollen und Bot-Armeen angespannt ist.

Auch bei den Wahlen in den USA gehen viele davon aus, dass Russland hier Einfluss genommen haben könnte. Alles samt Faktoren, die es auf dem diplomatischen Parkett rutschig, wenn nicht sogar gefährlich werden lässt.

Merkel-Putin Treffen in Sotschi

Angela Merkel trifft Wladimir Putin in Sotschi. 02.05.2017

 

Bei einem Kurzbesuch der Kanzlerin in Sotschi am 02.05.2017 und der anschließenden gemeinsamen Pressekonferenz, lässt die Frage einer deutschen Journalistin bezüglich der bevorstehenden Wahlen in Deutschland und einer möglichen Einflussnahme Russlands darauf, tief in die Seele der Kanzlerin blicken. Ängstlich ist die Kanzlerin nicht oder doch?

Die Journalistin fragte die Kanzlerin, ob sie eine Einflussnahme der Russen auf den Wahlkampf befürchte. Daraufhin Merkel: "Ich gehöre nicht zu den ängstlichen Menschen."

So etwas im Beisein eines Staatoberhauptes überhaupt erwähnen und herausstellen zu müssen, dass man keine Angst habe, so etwas bildet historisch betrachtet die absolute Ausnahme. Ein Jargon, den man bis dato nur auf Nordkorea angewendet hat. Auf uns wirkt das, wie ein kleines Kind, das sich alleine im Wald verirrt hat, laut pfeift, um sich Mut zu machen!

Der russische Informationskrieg kann als das Trolling von größtem Ausmaß in der Geschichte des Internets betrachtet werden. Sein Opfer: der freie, demokratische und grenzenlose Informationsraum namens Internet.

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